Geimpftes Durcheinander

Newsletter #9

Heute, am Dienstag, den 23.11.2021, wird die Zahl der mit einer Dosis geimpften Einwohner Deutschlands vom Robert-Koch-Institut mit 70,6 %, derjenigen mit einer zweifachen Impfung mit 68,0 % und mit der dritten Impfung mit 7,6 % angegeben. Diese Angaben beruhen auf den Meldungen aus Arztpraxen, Impfzentren und sonstigen Stellen.

Diese 68,0 % sind der Grund, weshalb allerorten und in zunehmend schärferer Tonlage von der Notwendigkeit der „Erhöhung der Impfquote“, der Unverantwortlichkeit und Un-Solidarität der nicht Geimpften bis hin zur politisch häufiger geäußerten Forderung nach einer Impfpflicht gesprochen und geschrieben wird.

Begründet wird dieser Ruf nach schärferen Regeln vor allem mit der Überlastung des Gesundheitswesens.

Impfquote? Welche Impfquote?

Rate der vollständigen Geimpften in den Altersgruppen nach Befragung durch das RKI.
Abbildung 1: Angaben zur vollständigen Impfung nach den letzten per Befragung erhobenen Daten des Robert-Koch-Institutes von Ende September / Anfang Oktober 2021 (Originaldiagramm des RKI).

Dasselbe Robert-Koch-Institut veröffentlicht dazu jedoch auch ganz andere Zahlen. Etwa seit Beginn dieses Jahres erfolgt regelmäßig eine Befragung einer repräsentativ ausgewählten Zahl von Einwohnern bezüglich ihres Impftstatus – das sog. Covid-19 Impfquoten-Monitoring in Deutschland COVIMO. Die letzte Erhebung dieser Art wurde am 22.11.2021 veröffentlicht und bezieht sich auf den Zeitraum vom 15.09. – 18.10.21. 

Dazu wurde ein Diagramm erstellt (Abb. 1), welches erkennen lässt, dass die Quote zweifach Geimpfter unter den Erwachsenen Deutschlands offenbar um 20 – 25  % höher ist.

Abbildung 2: Verteilung der Bevölkerung in Deutschland auf die Altersgruppen von 18 bis über 80 Jahre mit dem Anteil der zweifach Geimpften zum Zeitpunkt der Befragung Ende September/Anfang Oktober 2021.
Abbildung 2: Verteilung der Bevölkerung in Deutschland auf die Altersgruppen von 18 bis über 80 Jahre mit dem Anteil der zweifach Geimpften zum Zeitpunkt der Befragung Ende September/Anfang Oktober 2021.

Umgerechnet auf die entsprechenden Anteile an der Bevölkerung bedeutet dies, das von mehr als 69,2 Millionen der Erwachsenen in Deutschland vor etwa einem Monat mehr als 62,3 Millionen oder etwa 90 % geimpft waren. Oder anders ausgedrückt: Von 10 erwachsenen Einwohnern waren 9 geimpft, nur einer war nicht geimpft (Abb. 2). In der Altersgruppe über 70 Jahre waren von etwa 13,2 Millionen Menschen nur 500.000 nicht geimpft. 

Strategie? Welche Strategie?

Es ist nicht nachvollziehbar und höchst beunruhigend, wenn dasselbe Institut zwei in ihrem Informationsgehalt völlig unterschiedliche Zahlenangaben veröffentlicht. Natürlich sind in den „68 %“ auch die Kinder und Jugendlichen eingerechnet, die bisher nicht geimpft sind und auch nicht sein können (zumindest die ganz Kleinen nicht). Aber macht es irgendeinen vernünftigen Sinn, über Maßnahmen verschiedener Art und Impflicht zu sprechen, wenn offenbar bereits 90 % aller Erwachsenen geimpft sind, und dieser Anteil bei den über 70jährigen sogar bei deutlich über 90 % liegt? 

Zwischen Mitte April und Ende Juli 2021 wurden in Deutschland etwa 39 Millionen Menschen doppelt geimpft. Sie erinnern sich: Sommerferien, die Urlaubszeit stand vor der Tür. Impfen war Reisebedingung. Wenn nun das mittlerweile nachgewiesene Nachlassen des Impfschutzes etwa 4 Monate nach der Impfung einsetzt, dann befinden wir uns gerade mitten in der Phase, in der Millionen Geimpfter ihren Impfschutz mehr und mehr verlieren.

Das bringt mich zu der Frage der Strategie: Worum geht es hier eigentlich? Es hat den Anschein, als ob die Diskussion um die Frage, wer geimpft ist und wer nicht, sich mittlerweile nahezu vollständig verselbständigt hat. Niemand fragt mehr, was eigentlich das Ziel der inzwischen nahezu vollständigen Impfung ist. Der reine Status eines „Geimpften“ oder „Ungeimpften“ ist der Diskussionsgegenstand; ohne jeden Bezug zu irgendeiner praktischen Realität oder zu der Frage, welches Ziel wir hier eigentlich verfolgen.

In nahezu allen Medien drängt sich der Eindruck auf, dass mittlerweile die Impfung an sich als Wert angesehen wird. Das ist sie nicht! Um es gleich noch einmal zu sagen: die Impfung an sich stellt keinen eigenen qualitativen oder moralischen Wert da. 

Was wissen wir?

 

Aufteilung der bis zum 21.11.2021 im Zusammenhang mit Covid-19 Verstorbenen auf einzelne Altersgruppen. Patienten über 60 Jahre stellen zusammen 95 % aller Verstorbenen; in der Gruppe unter 35 Jahre finden sich mit 429 Patienten in 20 Monaten 0,4 % aller Verstorbenen (Quelle: RKI-Dashboard).
Abbildung 3: Aufteilung der bis zum 21.11.2021 im Zusammenhang mit Covid-19 Verstorbenen auf einzelne Altersgruppen. Patienten über 60 Jahre stellen zusammen 95 % aller Verstorbenen; in der Gruppe unter 35 Jahre finden sich mit 429 Patienten in 20 Monaten 0,4 % aller Verstorbenen (Quelle: RKI-Dashboard).

1. Wir wissen, dass etwa zwei Drittel der bisher Verstorbenen mit einem positiven PCR-Test älter als 80 Jahre waren. Etwa 95 % aller oder 19 von 20 Verstorbenen seit dem März 2020 waren älter als 60 Jahre alt. Die Sterblichkeit der Einwohner mit positiven PCR-Test in einem Alter von weniger als 35 Jahren betrug dagegen 0,4 %; das waren 4 Verstorbene von 1.000 Einwohnern < 35 Jahre mit positiven PCR-Test oder 0,0016 % aller Einwohner bis 35 Jahre (Abb. 3).

 

 

 

 

 

 

Beobachtungsergebnisse aus Israel. Beginnend im Dezember 2020 erfolgten altersabhängig ab Januar bis einschließlich März 2021 doppelte Impfungen bei etwa 50% der Bevölkerung. In der Nachbeobachtung zeigte sich eine deutliche Abnahme der Impfwirkung nach etwa 4 bis 6 Monaten mit einem zunehmenden Anstieg der Zahl nachgewiesener Infektionen sowie schwerer Krankheitsfälle bei diesen Personen (Quelle: Goldberg et al.; New England Journal of Medicine; Oktober 2021)
Abbildung 4: Beobachtungsergebnisse aus Israel. Beginnend im Dezember 2020 erfolgten altersabhängig ab Januar bis einschließlich März 2021 doppelte Impfungen bei etwa 50% der Bevölkerung. In der Nachbeobachtung zeigte sich eine deutliche Abnahme der Impfwirkung nach etwa 4 bis 6 Monaten mit einem zunehmenden Anstieg der Zahl nachgewiesener Infektionen sowie schwerer Krankheitsfälle bei diesen Personen (Quelle: Goldberg et al.; New England Journal of Medicine; Oktober 2021)

2. Wir wissen, dass die Wirkung der aktuellen Impfstoffe nach einigen wenigen Monaten auch nach einer doppelten Impfung in allen wesentlichen Kriterien deutlich nachlässt: Hinsichtlich der Vermeidung, sich selbst zu infizieren, der Vermeidung der Übertragung des Virus durch den Geimpften und der Erkrankungen. Einzig der Verlauf im Krankheitsfall scheint insgesamt weniger komplikationsreich zu sein (Abb. 4).

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 5: Relative Sterblichkeit im Verhältnis zur Zahl positiver PCR-Tests. Deutschland weist trotz der höchsten Anzahl von ITS-Betten pro 100.000 Einwohner (linke Skala) die zweithöchste Sterblichkeit nach Italien aus (gepunktete rote Linie und rechte Skala).
Abbildung 5: Relative Sterblichkeit im Verhältnis zur Zahl positiver PCR-Tests. Deutschland weist trotz der höchsten Anzahl von ITS-Betten pro 100.000 Einwohner (linke Skala) die zweithöchste Sterblichkeit nach Italien aus (gepunktete rote Linie und rechte Skala).

3. Wir wissen, dass eine große Zahl von Betten auf den Intensivstationen diese Patienten nicht vor dem Sterben schützt. Trotzdem Deutschland die höchste Rate an solchen Betten pro 100.000 Einwohner aufweist und einen enormen intensivtherapeutischen Aufwand betreibt, ist die bisher zu bestimmende Sterblichkeit der Patienten mit einem positiven PCR-Test die Zweitschlechteste in einem Vergleich mit anderen Ländern Europas und den USA (Abb. 5). Ausführlichere Informationen zu diesem Thema finden Sie hier.

 

 

 

 

 

 

Abbildung 6: Übertragungswahrscheinlichkeit des Corona-Virus SARSCov-2 durch Virusträger auf Kontakte in häuslicher Umgebung; jeweils im Status „nicht geimpft“ und „vollständig geimpft“. Nicht geimpfte Virenträger übertragen das Virus mit einer Wahrscheinlichkeit von 22 % auf nicht geimpfte Haushaltkontakte und mit einer Wahrscheinlichkeit von 11 % auf geimpfte Kontakte. Für geimpfte Virenträger sind die entsprechenden Werte 13 % auf nicht geimpfte Kontakte und 12 % auf vollständig geimpfte Kontakte (Quelle: de Gier et al.; Preprint medRxiv; Oktober 2021).
Abbildung 6: Übertragungswahrscheinlichkeit des Corona-Virus SARSCov-2 durch Virusträger auf Kontakte in häuslicher Umgebung; jeweils im Status „nicht geimpft“ und „vollständig geimpft“. Nicht geimpfte Virenträger übertragen das Virus mit einer Wahrscheinlichkeit von 22 % auf nicht geimpfte Haushaltkontakte und mit einer Wahrscheinlichkeit von 11 % auf geimpfte Kontakte. Für geimpfte Virenträger sind die entsprechenden Werte 13 % auf nicht geimpfte Kontakte und 12 % auf vollständig geimpfte Kontakte (Quelle: de Gier et al.; Preprint medRxiv; Oktober 2021).

4. Wir wissen, dass aktuell viele Infektionen vor allem in der häuslichen Umgebung entstehen. Hier wird der Unterschied der großen Zahl doppelt Geimpfter mit nachlassendem Impfschutz gegenüber der relativ kleinen Zahl der nicht Geimpften besonders deutlich. 

Die Übertragung des Virus durch nicht Geimpfte auf doppelt Geimpfte beträgt 11 %, auf ebenfalls nicht Geimpfte 22 %. Das bedeutet aber auch, dass bei 62,3 Millionen doppelt Geimpfter mit zeitabhängig nachlassendem Impfschutz letztlich etwa 6,8 Millionen Infektionen entstehen könnten. Dagegen würden die verbliebenen etwa 7 Millionen nicht Geimpften „nur“ etwa 1,5 Millionen Infektionen verursachen. Die Situation wird nicht besser, wenn wir die Übertragung durch doppelt Geimpfte betrachten. Hier könnten 13 % der nicht Geimpften infiziert werden und 12 % der bereits doppelt Geimpften. Dadurch könnten wiederum 0,91 Millionen Infektionen bei den nicht Geimpften, aber 7,6 Millionen Infektionen bei den bereits doppelt Geimpften mit nachlassendem Impfschutz entstehen (Abb. 6).

 

Fazit

Was wäre die Konsequenz aus diesen Erkenntnissen der letzten Monate? Also das, was man dann vielleicht vorsichtig als Strategie bezeichnen könnte? 

Sicher nicht der Gedanke, mangels besserer Ideen auch noch die letzten Verbliebenen aus den Gruppen der weniger Gefährdeten per medialer und politischer Geräuschkulisse zu einer Impfung zu zwingen. Genauso wenig hilft es den kleineren und größeren Kindern, wenn diese nun einer Impfung unterzogen werden sollen.

Hier wären einige alternative Vorschläge:

  1. Klare Aufklärung der Bevölkerung zur Verdeutlichung des eigentlichen Problems. Betonung des zeitlichen Aspektes des nachlassenden Impfschutzes trotz doppelter Impfung.
  2. Beendigung der Aufrechterhaltung einer Scheinsicherheit für Geimpfte, ohne Kenntnis des Immunstatus derselben, aber mit Ermunterung zu einem sorglosen Verhalten und Abkehr von schützenden Basismethoden. Es muss Schluss sein damit, den Geimpften und Genesenen einzureden, dass Sie sich doch gern in Gruppen zusammenfinden können, da sie doch geimpft und damit geschützt sind, und dort dann ohne Maske beieinander sitzen können. Die dazu ungeeignetste Idee ist „2G“. Hier weiß niemand irgendetwas von irgendjemandem. Infiziert? Überträger? Mild erkrankt? 
  3. Immer wiederkehrende Verdeutlichung in den Medien und bei politischen Äußerungen, dass es um den Schutz der Älteren und Alten geht – diese sind es, die häufig die Erkrankung Covid-19 nicht überleben können. Das ist das eigentliche, wenn nicht sogar ausschließliche Ziel. Also gilt weiterhin: Vorsicht, Abstand, Maske, Hände waschen. Keine Gruppenbildung, wenn nicht zwingend nötig.
  4. Aufhören, an so eine Art „Allmachts-Fantasie“ zu glauben; nach dem Motto: „vertraut uns, wir retten alle und jeden“. Das war so nie, das wird so nicht sein und kann es auch nicht. Das wäre eine wichtige Voraussetzung für ein nicht-ideologisiertes Denken und einen ehrlicheren und offenen öffentlichen Diskurs. Das Virus interessiert sich nicht für unsere Ideen. Es ist einfach da, und wird nicht einfach verschwinden, nur weil wir Deutschen glauben, wenn wir erst mal alle geimpft sind, dann wird das (gefälligst) so sein.
  5. Impfung – aber der Menschen über 60, und zwar ein drittes Mal zunächst. Die Rate der Auffrischung beträgt bisher gerade einmal 7,6 %; noch einmal zu impfen wären in der Altersgruppe über 60 Jahre etwa 23 Millionen Menschen. Das wäre eine mediale und politische Begleitung wert.
  6. Eine offene Diskussion darüber, was nach der 3. Impfung kommt oder kommen könnte. Was ist die Idee – wie geht es insgesamt weiter? Irgendwie besteht der Eindruck, dass gegenwärtig eine dritte Impfung so eine Art Ende darstellen soll, zumindest gedanklich. Das wäre genauso fatal, wie das Stillhalten im diesjährigen Sommer. 

Vielleicht findet sich ja doch noch jemand, der versucht ist, rational mit der Situation umzugehen und seine Meinung nicht ausschließlich auf eine eindimensionale Berichterstattung gründet und das Ziel wieder vor Augen hat.  Es hat schon eine Menge von Verzweiflung, zu sehen, wie sich nahezu alle Politiker ausschließlich auf das Thema „Impfen wir doch einfach alle“ stürzen in dem Wissen oder zumindest der Ahnung, viele Monate mit unsinnigsten politischen Diskussionen bereits vertan zu haben. Es hat etwas vom Retten der eigenen Haut.

Update 24.11.2021

Auf Anregung eines Lesers empfehle ich hier gern die Lektüre eines Artikels in der Berliner Zeitung. Offenbar gibt es noch immer beobachtende Mitmenschen mit dem Mut, Fragen zu stellen.

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