Newsletter #10
Eine drohende Unterversorgung mit Betten auf Intensivstationen wird derzeit erneut und häufig von verschiedenen Seiten immer wieder betont. Auch wenn es ebenso wie in anderen Ländern in Deutschland keinen wirklich erkennbaren Zusammenhang zwischen der Höhe der Zahl dieser Betten und der Chance auf das Überleben einer schweren Covid-19-Infektion gibt, entsteht hier natürlich eine gewaltige emotionale Aufladung (siehe dazu auch den Beitrag „Intensive Selbsttäuschung“).
Grundsätzlich stellt sich die Frage: Wer liegt denn eigentlich in diesen Betten mit einer Covid-19-Erkrankung? Ist es ein Bevölkerungsquerschnitt oder sind es bestimmte Gruppen von Menschen, die wir dort wiederfinden? Und was ergibt sich daraus für den weiteren Umgang mit dem SARSCoV-2-Virus? Aus den von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) veröffentlichten Zahlen lässt sich das Ablesen.
Belegung auf den Intensivstationen

Sowohl aus der prozentualen Verteilung als auch aus der Verteilung der absoluten Zahlen geht hervor, dass der allergrößte Teil der Patienten mit einem positiven PCR-Test auf den Intensivstationen aus dem Altersbereich ab 50 Lebensjahren entsteht; sie stellen gegenwärtig über 80 % aller Patienten (Abb. 1). Daran hat sich – ungeachtet der allseits und vor allem bei den Älteren forcierten Impfkampange – im Verlauf seit Anfang Mai nichts wesentliches verändert (Abb. 2). Bei Betrachtung der absoluten Zahlen zeigt sich außerdem, dass insbesondere in der Altersgruppe < 30 Lebensjahre nur eine sehr geringe und relativ konstante Zahl von Betroffenen mit einem positiven PCR-Test auf einer Intensivstation behandelt werden musste und muss. Im wesentlichen wird die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen durch die Altersgruppe ab dem 50. Lebensjahr getragen (Abb. 3).


Diese Zeitverläufe demonstrieren erneut, dass die Notwendigkeit einer intensivtherapeutischen Intervention bei der Entwicklung einer Covid-19-Erkrankung eine hohe Altersabhängigkeit besitzt. Alle gegenwärtig verfügbaren Parameter unterstreichen, dass es mit dem bei weitem höchsten Anteil die älteren und alten Patienten sind, welche durch die Infektion mit dem SARSCoV-2-Erreger an den Rand ihrer körperlich-funktionellen Reserven gebracht werden (siehe dazu auch den Beitrag „Geimpftes Durcheinander“).

Da diese Gruppe gleichzeitig die ist, welche sehr früh geimpft wurde und jetzt mit jedem Tag mehr eine verminderte Impfwirkung erlebt und bisher nur ein geringer Teil eine Auffrischung erhalten hat, ist hier die wesentliche Ursache für die Belastung der Intensivstationen zu suchen. Hinzu kommt, dass es ca. 10 % der Menschen in dieser Altersgruppe gibt, die sich bisher gegen eine Impfung entschieden haben.
In einer Analyse des Helios-Klinikkonzerns wurde gezeigt, dass etwa zwei Drittel der in den letzten Wochen auf den Intensivstationen der Krankenhäuser des Konzerns befindlichen Covid-19-Patienten nicht oder nur einmal geimpft waren (Abb. 4). Es war und ist jedoch falsch, die gegenwärtig als bedrohlich vermittelte Situation auf den Intensivstationen ausschließlich an den bisher nicht geimpften Menschen festzumachen; schon gar nicht greift diese Argumentation, wenn pauschal die Gesamtbevölkerung betrachtet wird.
Politische Entscheidungen

Exemplarisch sei hier die politische Entscheidung im Saarland vom 30.11.21 aufgeführt. Mit der Begründung einer hohen Inzidenz und der drohenden Auslastung der Krankenhäuser wird ein „Lockdown für Ungeimpfte“ beschlossen. Dies meint, dass nicht geimpfte Personen nicht mehr ein Restaurant aufsuchen können, keine Veranstaltungen besuchen dürfen und auf verschiedene andere Weise vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden sollen. Aber was genau ist das Ziel? Schauen wir auf die Verfügbarkeit von Betten auf Intensivstationen des Saarlandes, ist von einer besonders bedrohlichen Situation nichts zu erkennen (Abb. 5).
In der zugehörigen Pressemeldung beschreibt der Ministerpräsident des Saarlands eine Inzidenz von 1200 bei den nicht geimpften Bürgern seines Landes. Das gesamte Land weist für diesen Tag nach Angaben des RKI eine Inzidenz von 441 und eine Impfquote von 77,3 % aus. Daraus lässt sich nun leicht errechnen, dass es aktuell pro Tag insgesamt 620 neue positive Testergebnisse geben wird. Das Verhältnis zwischen positiven Testergebnissen aus der Gruppe der nicht geimpften zu den aus der Gruppe der geimpften Einwohner beträgt dann etwa 1,6 : 1 (Abb. 6).
Diese Darstellung enthält zwei erhebliche Verzerrungen: Erstens: Positive Testergebnisse beschreiben nicht eine manifeste Infektion und beschreiben nicht eine Erkrankung. Angaben von Inzidenzen allein lassen also keinen Rückschluss zu, welche unmittelbare Bedeutung ein positives Testergebnis für den einzelnen Bürger hat.
Und zweitens: Im Saarland gilt bereits seit einiger Zeit an vielen Stellen „2G“. Das führt zwangsläufig dazu, dass sich nicht geimpfte Bürger des Landes viel häufiger einem PCR-Test unterziehen (müssen), als es Geimpfte und Genesene tun. Es ist daher nicht bekannt, wie viele positive Testergebnisse es geben würde und wie sich diese zwischen den Gruppen verteilen würden, wenn alle Bürger des Landes sich in gleicher Weise dem PCR-Test unterziehen müssten.

Aus dieser unsicheren Datenlage heraus Entscheidungen abzuleiten, ist ein rein politisches Geschehen und hat mit medizinischer Abwägung nichts zu tun. Dies wird dann auch durch Begründungen für die getroffene Entscheidung eines „Lockdowns für Ungeimpfte“ wie „schließlich sei mit den Impfungen auch ‚ein gewisses Freiheitsversprechen verbunden’ gewesen“ (Zitat Ministerpräsident Hans) dokumentiert. Es geht also offenbar vor allem darum, ein gegebenes politisches Versprechen zu erfüllen, unabhängig davon, dass dessen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Eine realistische und bürgerbezogene Entscheidungsfähigkeit kann hier gerade nicht erkannt werden.
Gleichzeitig wird jedoch zusätzlich die inzwischen weit bekannte Abschwächung der Impfwirkung als wesentlicher Grund des derzeitigen Geschehens ins Feld geführt. Hierzu wird der Leiter des Lehrstuhls Pharmazie der Universität des Saarlandes, Prof. Lehr, zitiert: „Aufgrund der hohen Impfquote wurde eine Sicherheit kommuniziert, was gefährlich war.“ Der Widerspruch zwischen politischem Versprechen von Freiheit und der Unsicherheit des Impfergebnisses kann kaum größer sein.
Übrig bleiben letztlich zwei wesentliche Fakten: Die Wirkung der Impfung gegen das Virus SARSCoV-2 lässt nach einigen Wochen nach, und zwar soweit, dass bereits nach 4 bis 6 Monaten davon auszugehen ist, dass die ursprüngliche Impfwirkung nur noch gering oder nicht mehr vorhanden ist. Und: Die meisten Menschen mit einem positiven PCR-Test auf den Intensivstationen sind (wesentlich) älter als 60 Jahre; es sind auch die, welche bei weitem am häufigsten in diesem Zusammenhang versterben.
Zusammen mit der Analyse der Altersverteilung und der mit 88 – 92 % hohen Impfrate der Menschen über 60 Lebensjahre ergibt sich daraus, dass es notwendig sein wird, in dieser Altersgruppe auch den letzten Prozenten zu einer Impfung zu raten und eine Auffrischung der Impfung nach spätestens vier bis sechs Monaten anzustreben. Die Verminderung der Krankheitsschwere bei Entwicklung einer Covid-19-Infektion bei älteren und alten Menschen scheint derzeit der einzige belegbare Grund für eine Impfung gegen das SARSCoV-2-Virus zu sein. Hier wäre unbedingt anzusetzen, um die Intensivstationen wirklich zu entlasten und die Prognose der älteren und alten Patienten mit einer Covid-19-Infektion zu verbessern.
Da ein ähnlicher Effekt nicht bei jüngeren und jungen Patientenkollektiven und erst recht nicht bei Kindern und Jugendlichen gezeigt werden kann, kann hier keine klare Indikation für diese Impfung erkannt werden. Ein Impfangebot für alle kann und soll es geben. Eine verpflichtende Impfung für die gesamte Bevölkerung ist dagegen genau so wenig hilfreich wie die aktuell fehlende politische Strategie, die das Land zurück zu gesellschaftlicher Normalität führen könnte.
Es bleibt das große Geheimnis der Entscheidungsträger dieses Landes, weshalb nicht alle Konzentration auf die bekannten vulnerablen Gruppen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion gerichtet wird, statt durch eine ausschließliche diffuse und pauschale Idee einer allseits gleich ausgerichteten Impfung zu versuchen, die Situation irgendwie insgesamt zu verbessern. Das wird in dieser Weise nicht gelingen.
Gleichzeitig wird es derzeit mehr als notwendig sein, die Kontakte zu den gefährdeten Gruppen auf ein geringes Maß zu beschränken und vor allem die üblichen Schutzmaßnahmen wie Maske und Hände waschen unbedingt zu beachten. Die gilt sowohl für andere Geimpfte als auch nicht Geimpfte. Grundsätzlich sollten alle Besucher oder Kontaktpersonen in diesen Altersgruppen getestet sein; „2G“ oder ähnliches hat hier überhaupt nichts zu suchen.
Aktuelle Bettenverfügbarkeit Intensivmedizin

Als Ergänzung zum Beitrag „Intensive Selbsttäuschung“ finden Sie hier noch eine kurze Analyse der aktuellen Bettensituation auf den Intensivstationen des Landes.
Betrachten wir zunächst die Anzahl der jeweils belegten Betten. Aus der Grafik der DIVI geht hervor, dass der Anteil der Betten, der für Patienten mit positiven Testergebnissen aufgewendet werden muss, derzeit bei etwa 20 % liegt (Abb. 7).
Das ist natürlich regional unterschiedlich, aber die mit viel begleitendem Medien-Getöse verbundene Verlegungsoption gab es schon immer und wurde auch schon immer genutzt. In der Bewertung ebenfalls zu beachten ist, dass nicht jeder Patient, der unter der Kategorie „Covid-19“ geführt wird, wegen einer SARSCoV-2-Infektion auf der Intensivstation behandelt wird, sondern ein positiver PCR-Test eine andere Erkrankung (Herzinfarkt, Schlaganfall, Darmoperation, Blinddarmentfernung etc.) begleiten kann. Das Meldeverfahren für beide Patientengruppen unterscheidet sich jedoch nicht.
Diese dadurch verzerrte statistische Erfassung, ebenso wie der (Fehl-)Anreiz durch die als „Aufwandsentschädigung“ aus Bundesmitteln gezahlte Pauschale für jeden Patienten mit einem dokumentierten positiven Testergebnis und die Tatsache, dass alle Patienten, die aktuell in einem Krankenhaus aufgenommen werden, auch einem PCR-Test unterzogen werden, führen zu einer erheblichen Unsicherheit in der Abschätzung der tatsächlichen Belastung der Intensivstationen durch Patienten mit klinisch gesicherter Covid-19-Erkrankung als Hauptdiagnose.

Insgesamt hat die Zahl der betreibbaren Betten seit Januar kontinuierlich abgenommen. Die Abnahme entspricht dabei der Abnahme der sog. Notfallreserve (Abb. 8). Dieses Geschehen hat offenbar nur indirekt etwas mit dem Verlauf um Covid-19 zu tun. Hier werden dagegen strukturelle Mängel im Gesundheitswesen, wie die unzureichende Bezahlung von Intensivpflegekräften und Abwanderungen von ärztlichen und pflegerischen Fachkräften in andere Berufsrichtungen, als Begründung gefunden.
Ein wiederkehrendes Muster findet sich jedoch auch hier: Während noch vor einigen Monaten sowohl in der Bevölkerung („Klatschen auf dem Balkon“) als auch politisch mit zahlreichen Respektbekundungen so getan wurde, als wüßte man um die Härte der Arbeit im Drei-Schicht-System auf den Intensivstationen, haben die Sommermonate eine trügerische Zufriedenheit kombiniert mit Desinteresse einkehren lassen. Die Wertschätzung dieser Art Arbeit hatte sich bereits wieder verflüchtigt, ohne dass ein Konzept außerhalb des Mantras „Wir müssen alle impfen“ als Möglichkeit der Rückkehr zu einem Leben „wie zuvor“ erkennbar gewesen wäre.
Unabhängig davon zeigt sich jedoch, dass aktuell sowohl ausreichend freie Betten als auch eine relativ große Zahl an Reservebetten verfügbar ist. Allerdings sei auch an dieser Stelle nochmals darauf verwiesen, dass die reine Zahl der Betten auf Intensivstationen weder ein Qualitäts-Merkmal für den prognostischen Ausgang einer Covid-19-Erkrankung ist noch einen Teil der Strategie für den weiteren Umgang mit dem SARSCoV-2 Virus liefern kann (siehe auch hier den Beitrag „Intensive Selbsttäuschung“).
Hallo Herr Dr. Krakor,
ganz herzlichen Dank für diese wieder mal sehr differenzierte Darstellung!
Mit besten Grüßen
Udo Eichweber
Ergänzung:
Die politischen Versprechungen beruhten offensichtlich auf falschen Voraussetzungen
hinsichtlich der Wirksamkeit von Impfstoffen. Und nun wird eine Campagne geführt und das
mithin wieder auf falschen Prämissen
Ich warte gerade ganz gespannt auf das Urteil des BVG.
Udo Eichweber
Hallo Her Eichweber,
so, wie es im Moment aussieht, wird wohl nun auch noch eine Impfpflicht kommen. Leider nicht das, was wirklich hilft.